Claire Darcine

Ästhetik bedeutet Wahrnehmung. Claire Darcine ist im eigentlichen Sinne dieses Wortes eine Wahrnehmerin: Sie führt uns in die Natur, und wir sehen die wunderbaren, geheimnisvollen Farben von Tulpen, Narzissen, Anemonen; wir staunen über die Begegnung von Tier und Blume im Blütenkelch, wir erleben die prachtvollen Farben eines Vogels in der Winterlandschaft, wir spüren die Ausstrahlung des schillernden Lichtes in den gläsernen Fassaden in den modernen Städten, in denen alles laut und schnell dahinlebt … Zwischen alledem sieht diese Ästhetin das spiegelnde, schillernde, glänzende Spiel des Materials in der Begegnung mit dem Sonnenlicht, dem leuchtenden menschlichen Auge …

So ist die Welt der Claire Darcine eine wahrhaftige – eine, in der man das Gefühl hat, wieder wirklich und ursprünglich Orientierung zu finden, in der man gleichsam zurückverwandelt wird, weil man den Kosmos spürt, zu dem man selber im Grunde immer gehört, aus dem man hervorgegangen ist, zu dem man zurück möchte …

Die Bilder von Claire Darcine sind auf diesem Wege der Neuorientierung Anhaltspunkte, Hinweise, Erinnerungen, aber in ihrer Verinnerlichung auch Gebilde, welche als eigenständige Ereignisse (wie der Philosoph Martin Heidegger es in Relation zur Kunst formulierte) jene kosmische Ursprünglichkeit und Natürlichkeit vermitteln. In diesen Ereignissen findet jene vom Philosophen Martin Buber genannte Wende oder Rückkehr zur schechina statt, welche – wie er das formuliert - das göttlich Gute, Schöne, Wahre ahnen läßt.  

Diese vor uns geschehenden Ereignisse sind somit gleichsam Aufrufe, Anrufe an uns Betrachter. Es, das offenbarte Phänomen nicht nur zu sehen, zu analysieren, es einem anderen unter- oder zuzuordnen, sondern ihm einfach spontan zu begegnen.

Der französische Philosoph Emmanuel Levinas spricht in diesem Zusammenhang von IlluitätEtwas ist separiert, geschaut, gesichtet, ausgesondert worden und zum Einen geworden. Dieses vor uns lebende Eine oder Besondere, welches uns vom Künstler vorgestellt, offenbart wird, sollten wir wie ein zauberhaftes und verzauberndes Lied hören und singen. Wir sollten ihm (ille) – wie Levinas es in seiner Ethik formuliert – antworten, entgegentreten, um mit ihm jenen kosmischen Weg der Zusammengehörigkeit oder Göttlichkeit zu gehen …

So vermittelt uns die Zauberwelt der Claire Darcine jene Augenblicke, welche im Grunde das Wesen unseres Lebens ausmachen, von denen wir uns in unserer Zivilisation entfernt haben: Licht, Wärme, Ursprünglichkeit, Zusammengehörigkeit, Leichtigkeit, Selbstverständlichkeit, Freiheit ...

Sie ist keine in sich selbstverliebte, narzißtische Künstlerin, welche für ihre Sicht Menschen beeinflussen oder vereinnahmen will, sondern eine Frau, die sich hinter der Kamera buchstäblich und figürlich zurücknimmt und uns einfach das von ihr, von ihrem Auge, von ihrer Seele Geschaute anbietet. In diese Zauberwelt zurückgekehrt, erkennen wir wieder, fühlen wir uns wohl, können und werden wir wieder singen ...

So trifft für das Werk von Claire Darcine im Grunde das zu, was der Dichter Heinz Hof in seinem Gedicht „Gefrorene Rose“ zum Ausdruck bringt, indem er sagt, daß das Gefrorene im Leben wieder auftaut, sich entfaltet, duftet und blüht, wenn – ja wenn der Mensch sich liebevoll kümmert ...  Es ist der Kummer – die Liebe, die Sorge, der Genuß um unsere Welt der Ästhetin Darcine, welche uns in diese paradiesische Zauberwelt führt, aus der danach ANDERS in das normale Leben zurückzukehren, um auch dort unsererseits weiter zu (ver)zaubern ... Unter dieser ethisch/ästhetischen Hymne werden wir zu einem anderen Lebenswillen, zu einer anderen Moral finden!